Etappenbeschreibung:
Am Morgen liegt das weite Hochtal unter einer dünnen Nebeldecke. Am Horizont erscheint soeben die Sonne als roter Feuerball und taucht die Szene in ein unwirkliches, dramatisches Licht. Es ist frisch hier oben auf über 1.300 m Seehöhe, + 6° C zeigt das Thermometer auf meinem Bikecomputer. Wir freuen uns (mäßig) über die steile Auffahrt in den Ort, da kommt man rasch auf Betriebstemperatur. 1 km weiter wechseln wir auf die andere Bergflanke und rauschen im Sinkflug über 12 km hinunter in die Ebene südlich von L’Aquila. August verwöhnt uns mit einer kleinen Einlage – einem fast gestandenen Salto vorwärts – als er über eine Coladose fahren will und diese seine Vorderbremse blockiert. Als wir den Ort Fossa erreichen, ist das gesamte Gelände abgesperrt. Der Ort ist beim Erdbeben so stark zerstört worden, dass er unbewohnbar ist.
Bedrückte Stimmung kommt auf, als wir durch die von dem schlimmen Erdbeben im April heimgesuchten Dörfer fahren. Der Ort Onna wurde fast vollständig zerstört und Paganica, ein Vorort von L’Aquila, lag im Epizentrum und wurde stark zerstört. Die Pause in der Bar fällt aus – irgendwie ist keinem danach. Von Paganica folgen wir der Asphaltstrasse hinauf nach Pescomaggiore. Es herrscht reger LKW-Verkehr zu einer Schottergrube. Offensichtlich gibt es in jedem Elend auch Gewinner und zu diesen zählen sicher die Bauunternehmer. In Pescomaggiore nehmen wir beim Dorfbrunnen nochmals Wasser auf, denn jetzt geht es in einsame Höhen Richtung Campo Imperatore.
Wie Terrassen liegen die weiten Hochtäler, eines über dem anderen, auf unserem Weg zum höchsten Berg im Apennin. In der Ferne sehen wir einen Schäfer mit seiner Herde. Die grob schotterigen Wege steigen immer leicht an, bis wir nach 22 Kilometern und 800 Höhenmetern den Ort Santo Stefano di Sessanio, unser Etappenziel, von weitem sehen. Jubel und ab in die erste Bar. Diese kommt unerwartet, schneller als wir glauben. 1km vor dem Ort sehen wir plötzlich einen Wegweiser „Ristoro/Bar“. Nichts wie hin, denn seit dem Frühstück haben wir nur ein paar Handvoll Brombeeren und einen Müsliriegel bekommen. Im Ristoro, das gleichzeitig auch ein Campeggio ist ordern wir Pasta. Am Nebentisch haben die „Vigli del Fuoco“ (Feuerwehr) gerade eine Sitzung. Auch in Santo Stefano hat das Erdbeben Schäden verursacht. Nach dem urigen Essen fahren wir weiter in den Ort und hier scheint das Mittelalter zum Greifen nahe.
Wir beziehen unser gemütliches Quartier in einem alten, innen komplett renovierten Haus, mitten im Ort. Vor dem Abendessen bleibt noch Zeit für einen Erkundungsgang durch das malerische Dorf und einen Besuch in der sichtlich beliebten Bar. Hier hängen Bilder von Gerard Depardieu, denn Santo Stefano war schon des Öfteren Filmschauplatz für Mantel- und Degenfilme. Abends radeln wir dann noch einmal zum Ristoro vom Nachmittag und lassen uns so richtig verwöhnen. Morgen soll schönes Wetter sein und genau das brauchen wir für unsere Route über den Campo Imperatore. Also ab in die Betten – auf uns wartet Großes! |